Tag 2: 09.06.2024, 157 km, 772 hm

Ein fast explosionsartiges Knacken aus meinem Antrieb. Ich höre auf zu treten und schaue nach unten zwischen meine Beine. Mein Kettenblatt ist ausgerissen.

Ich bin sehr früh gestartet, vor 6:00 Uhr saß ich schon auf meinem Fahrrad. Ich genieße es, Sonntagmorgens durch die Dörfer zu fahren. Es ist so ruhig, so unberührt. Ich muss mir keine Sorgen um Autos machen. Die ersten 50 km sind schon um 8:15 Uhr erledigt.

Unterwegs im Morgengrauen

Unterwegs im Morgengrauen

Sonntagsmorgensleere

Sonntagsmorgensleere

Ich überquere die Donau, muss kleinere Umwege machen, um das Hochwasser zu umfahren. Danach fahre ich lange an der Altmühl entlang. Der Weg ist relativ entspannt, viele Forst- und Radwege, mir begegnen viele Fahrradfahrer:innen auf E-Bikes. Die Landschaft wirkt relativ vertraut, Wälder wechseln sich mit Feldern ab, dazwischen immer wieder ein Dorf. Der Mohn blüht.

Ich hatte mir heute 200 km vorgenommen, wollte bei Tim in Erlangen übernachten. So weit bin ich noch nie gefahren, aber ich habe es mir bei guten Bedingungen zugetraut. Tatsächlich habe ich hart gekämpft. Bei Kilometer 140 ca. ist dann meine Kurbelgarnitur kaputt gegangen. Davor schon hatte ich angesichts eines Hügels erst mal entschieden, mein 35-kg-Radl auf die Seite zu legen, Antrieb in den Biomotor nachzuschütten (die Wurstsemmel, die ich gestern geschenkt bekommen habe) und ein Nickerchen zu machen. Ob es am schweren Gepäck liegt oder daran, dass ich aktuell außer Form bin – so anstrengend waren 140 km schon lange nicht mehr.

Erschöpfte Mittagspause bei km 100

Erschöpfte Mittagspause bei km 100

Meistens ist meine Laune auf solchen Touren relativ immun gegen Hindernisse und Unglück. Heute nicht. Als meine Kurbelgarnitur bricht, sitze ich fast heulend am Straßenrand, später laufen mir beim alkoholfreien Bier im Gasthof die Tränen herunter. Ich fühle mich ziemlich verzweifelt und allein. Ich habe mich schwer getan, mich von dem Gedanken zu verabschieden, heute die 200-km-Marke zu knacken. Vielleicht habe ich mir auch Sorgen gemacht, dass ich, statt einen sicheren Schlafplatz anzusteuern, wieder auf die Suche gehen muss. Und natürlich hänge ich gerade noch sehr am Ziel statt am Weg und verpasse dabei ein wenig, den Weg zu genießen.

Pause und einen klaren Kopf verschafft mir der Rothsee, in den ich mit Radlgarnitur hüpfe. Danach bin ich wieder zuversichtlicher.

Am Rothsee

Am Rothsee

Auf Schlafplatzsuche begegnen mir die Franken allerdings etwas verschlossener, als ich das bisher bei den Oberbayern erlebt hatte. Als mir die dritte Person erklärt „Platz für dein Zelt? Da weiß ich jetzt nichts“, während sie auf ihrer großen Weide steht, bin ich frustriert und mache mir Sorgen, ob ich ein Plätzchen für die Nacht finde. Dann habe ich Glück: Frau Seitz sitzt vor ihrem gelben Bauernhaus und ich spreche sie an. Sie ist zurückhaltend, der Fremden gegenüber vielleicht etwas skeptisch, aber bietet mir trotzdem einen Platz in der Halle an. Sie versorgt mich noch mit einem Käsebrot, und ich lerne ihren Sohn, die Schwiegertochter und Kätzchen Molly mit einmonatigem Jungen kennen.

Hallo, Molly! (und siehe das Bündel ganz links)

Hallo, Molly! (und siehe das Bündel ganz links)

Schönes Licht und schöne Kühe bei Familie Seitz

Schönes Licht und schöne Kühe bei Familie Seitz

Trotz allem bin ich heute vermutlich weiter gefahren als je zuvor, eigentlich sollte ich also stolz sein. So weit bin ich noch nicht, aber ich bin froh, dass ich für die Nacht warm und sicher bin.