Morgens, wie abends, als erstes: Schwimmen gehen. Wie immer tut es unglaublich gut, wie ein Neustart.

Danach brauche ich sehr lange um fertig zu werden, zusammen zu packen, die Hütte hinter mir aufzuräumen. Wenn man richtig kochen und abwaschen kann, braucht das halt auch Zeit. Als ich gerade fertig bin um aufzubrechen, grüße ich die fit aussehende, ältere Norwegerin, die mit ihrem Hund vorbei kommt. Sie bewohnt eine der benachbarten Hütten. Wir kommen ins Gespräch, sie lädt mich ein, bei ihr eine Dose Cola zu holen. Ich erzähle ihr von meinen Plänen und meiner Route („I think you are very tough“, kriege ich zurück). Ich frage sie, wann ich in der Richtung auf einen Supermarkt stoßen werde. Sie sagt, gar nicht. Ich hatte damit gerechnet, heute einkaufen zu gehen. Selber haben sie auch kaum Vorräte mehr, die sie sonst mit mir geteilt hätte. Ich stelle mich auf zwei Tage Haferflocken ein, so lange sollte ich auskommen. Von ihr bekomme ich dann noch Pølser (Wurst) und Schokolade in die Hand gedrückt, was sie noch da haben. Ich freue mich nicht auf zwei Tage Haferflocken, aber weiß, dass ich fürs Erste auskomme.

Zum Glück war die Norwegerin doch nicht allwissend. Als ich wieder Internet habe, sehe ich, dass ich doch bei einem Supermarkt vorbeikommen werde. Beruhigend. Der Supermarkt dient mir trotz Betonwüste als kleine Oase. Ich kann offensichtlich einkaufen, aber auch meine Geräte laden, und meine Festivallogistik planen (ich habe entschieden es zu wagen und fahre Samstag nach Göteborg). Ich habe ein wenig übertrieben mit meinem Einkauf, und bin für die nächsten Tage ausgestattet. Ich sitze also lange vor dem Supermarkt, esse dort zu Mittag und feiere mein einmonatiges Unterwegssein mit einem alkoholfreien Bier. Die Einkaufenden und Mitarbeitenden grüßen mich alle freundlich. Ein Motorradfahrer spricht mich an, wir unterhalten uns ganz nett. Ich werde auf Kaffee eingeladen, für wenn ich oben am nächsten Hügel ankomme (nur noch 500hm).

Der Weg bergauf gibt mir genug Zeit zum Grübeln. Soll ich zu einem alleinstehenden, fremden Mann auf einen Kaffee gehen? Genug Warnungen darf ich mir ja als junge Frau vor den bösen Männern anhören. Ich will der Welt aber nicht mit Angst begegnen, nicht wegen einiger weniger Arschlöcher alle Männer verteufeln. Also vertraue ich meiner Intuition, dass dieser Mann nicht zu den Arschlöchern zählt (und ich schaue mir einen Trampertrick ab und mache, mit seinem Einverständnis, ein Foto von seinem Kennzeichen). Jon ist tatsächlich ein lieber Kerl, ich kriege Kaffee, Empfehlungen und Kettenöl. Architektonisch ist seine Hütte sehr schön, es ist die Hütte von der meine Mama träumen würde: hell und gemütlich.

Die Krönung des Tages ist die Landschaft direkt dahinter. Seen, Felder, Singletrail, meistens fahrbar, zwischendurch ist der Weg ein Bach, zwischendurch Sumpf (meine wasserdichten Strümpfe halten!). Das Abendlicht färbt alles golden.

Ich versuche mich auch heute Abend wieder in einer Slapstick Performance. Diese ist getrieben von tausenden Mücken, die mich an meinem Schlafplatz umschwärmen. Mein Kopfnetz ist für die winzigen Viecher nicht feinmaschig genug, und ich laufe wie ein verrückter Vogel im Kreis, um sie immer wieder abzuhängen. Mein Zelt baue ich sehr chaotisch auf. Währenddessen koche ich mir schnell Kartoffelpüree, immer wieder vor dem sich um meinen Kopf bildenden Schwarm davon laufend - eine gefühlte Ewigkeit. Später steht mein Zelt, mein Zeug ist im Zelt und ich kann es mir darin gemütlich machen. Einige wenige, nur circa 100, Mücken haben es zu mir ins Zelt geschafft. Ich zerdrücke sie nach und nach. Die meisten bleiben draußen und sammeln sich über meinem Mückennetz. Mein Essen ist mittlerweile kalt, aber langsam komme ich zur Ruhe. Heute wird nicht abgewaschen, und es gibt keinen Tee, damit ich nicht so oft aufs Klo muss. Ich spucke meinen Zahnputzwasser in den noch dreckigen Topf. Aus Ziviliationsperspektive möglicherweise eklig, aber ich vermeide auf alle Kosten von den Mücken überfallen zu werden.

Trotz meines Abendstress lächle ich, wenn ich auf den Tag zurückblicke. Ich bin in meinem sicheren Hafen, meinem Zelt.