Ich weiß noch nicht, was ich mir von meiner weiteren Reise wünsche. Vielleicht ist es das, was mir heute ein wenig aufs Gemüt schlägt.

Nach einer unruhigen Nacht breche ich erst mittags auf. Ich bin immer noch ein bisschen schwach. Weil ich so langsam vorankomme, hatte ich mich in der Distanz zur nächsten Stadt ein wenig verschätzt. Ich esse noch meine allerletzten Haferflocken, dann gehen zum ersten Mal überhaupt auf dieser Reise meine Vorräte leer (bis auf eine halbe Tube Honig, Salz und Zimt). Dank Himbeeren, Blaubeeren, und Walderdbeeren halte ich bis zum nächsten Supermarkt durch.

Das Einkaufen stresst mich ein wenig, vermutlich wegen der vielen Entscheidungen und der hohen Lebensmittelpreise. Danach auf dem Parkplatz in der Betonwüste abzuhängen hebt die Stimmung nicht unbedingt. Hilft nichts, ich muss einen Teil der Lebensmittel essen, bevor ich den Rest einpacken kann. Der Wetterbericht drückt meine Stimmung weiter: es soll heute Nacht und morgen den ganzen Tag regnen. Es ärgert und wundert mich ein wenig, dass ich immer noch so einfach aus dem Takt zu bringen bin. Ich kenne dieses Gefühl nur zu gut. Wenn irgendwas nicht klappt oder ich das Gefühl habe, einen Fehler gemacht zu haben, trage ich eine Schwere mit mir herum. Ist das Sorge? Schuld? Angst? Bin ich einfach müde davon, für so viele Entscheidungen völlig alleine die Verantwortung zu tragen?

Es fällt mir noch schwer, wieder mit meinen Gedanken alleine zu sein. Ich suche Ablenkung, und finde diese in unterschiedlichen Podcasts. Besonders freut mich, dass ich drei Wochen „Lael rides around the world“ ( Apple Podcasts, Spotify) nachholen darf. Lael Wilcox dokumentiert darin jeden Tag ihre Weltumrundung auf dem Fahrrad, bei der sie den Weltrekord der Frauen brechen möchte. Sie fährt jeden Tag ca. 260-300km, eine ganz andere Kategorie. Sie strahlt bei ihren Erzählungen so viel Optimismus, Dankbarkeit, Resilienz und Freude aus - ein bisschen davon kommt auch immer bei mir an.

Wieso fahre ich weiter? Ich habe ja jetzt ein Zuhause gefunden - oder es mich. Ich könnte in einen Bus nach Göteborg steigen, dann den Zug nach Bollebygd nehmen und die 5 km von dort radln. Ich könnte Zeit mit Tobias und Katze Rasmus verbringen, Fahrradtouren machen, bei Sara, Fredrik und deren Sauna vorbei schauen, Ausflüge nach Göteborg und Uppsala machen zu den anderen Menschen, die ich kennengelernt habe. Theoretisch. Die Vorstellung fühlt sich ein wenig verloren an. So lange ich keine Aufgabe habe, weiß ich nicht wo mein Platz ist. Vermutlich ist es auch gut nach meiner schnellen Entscheidung, mein Leben dorthin zu verlegen, ein wenig Abstand zu bekommen. Vermissen kann ich es ja trotzdem.

Außerdem suche ich noch etwas auf dieser Reise. Ich will mehr von der Landschaft in Norwegen sehen, ich will Pierogi essen in Polen und Rote Beete Suppe in Litauen. Ich will Finnen und Finnland kennenlernen und die skandinavische Faszination über ihre unverständliche Geschwisternation nachvollziehen können (plus finnische Saunas!). Ich will zufällige Begegnungen, schöne Zeltplätze, Elche sehen. Ich will fragwürdige Mahlzeiten aus meinem Topf essen, die hungrig trotzdem schmecken. Ich will nass werden und wieder trocknen. Ich will abends müde auf meiner Isomatte liegen, frische Luft atmen und versuchen all die komischen Geräusche des Waldes einzuordnen. Und irgendwann will ich dann wieder zuhause ankommen.

In den See zu springen holt mich vom Grübeln in den Moment zurück. Zu spüren wie warm das Wasser an der Oberfläche, wie kalt es ist, wenn ich runtertauche. Dass mein Schwimmen in die eine Richtung das Wasser verwirbelt hat, und es kälter ist, wenn ich die gleiche Strecke zurückschwimme. Stille, Erfrischung. Den Dreck und Schweiß des Tages zurücklassen.

In einem der Zuläufe zum See filtere ich noch frisches Wasser. Das war überfällig, und leichte Dehydrierung trägt sicher nicht zur Stimmung bei. Kurz darauf finde ich einen Schlafplatz an einem anderen See, es ist gerade genug Platz zwischen den Kuhfladen. Keine Schönheit, aber flach und nicht direkt an der Straße.

Als das Zelt steht, mein Material für den kommenden Regen aufgeräumt ist und ich mit Abendessen ins Zelt kriechen kann, komme ich wieder bei mir selbst an. Ich atme durch, dehne mich, esse langsam. Ich schreibe noch ein wenig Tagebuch, versuche meine Unruhe zu verstehen. Sie wird aber langsam weniger.