Heute also das Tal hinter. Die Strecke, die ich gestern schon wegen des Bundesstraßenanteils gefürchtet hatte. Ich möchte sie heute einfach hinter mich bringen.
Die Strecke vermeidet, wo es geht, durchaus die Bundesstraße, und so geht es am Anfang über sehr steile, und zumindest mit Gepäck nicht fahrbare Graswege. Anstrengend aber vielleicht die Anstrengung wert? So sicher bin ich mir da nicht. Ein sicheres Highlight auf einem etwas abwegigen Umweg: zwei sehr soziale Ziegen, die lange neben mir her laufen und sich auch kraulen lassen. Sie versuchen die Bänder meiner Lenkertasche anzuknabbern, da muss ich sie leider wegschieben.
Dann geht es auf die Bundesstraße. Die vorbeiziehenden LKW machen schon Angst, aber ich klemme mich einfach rein. Warnweste an und strampeln.
Mal wieder lasse ich mich auf einen Sprint ein, um Öffnungszeiten zu erwischen. Diesmal geht es um Kettenöl für mein Fahrrad. Noch ca. 45km und 800 hm, 3 h Zeit. Dank der Höhenmeter doch eine Herausforderung. Also fliege ich die Passstraße hoch, mittlerweile macht mir das sogar Spaß und die wenigen Autos überholen mit Respekt. Das Gute an Passstraßen ist, dass sie auf der anderen Seite auch wieder hinunterfahren. Das hatte ich in meiner Berechnung nicht berücksichtigt. Statt knapp in der Zeit zu liegen und richtig Gas geben zu müssen, rolle ich 20km lang in hohem Tempo bergab. Auch nach Abstecher in einer lokalen Bäckerei komme ich noch eine Stunde vor Ladenschluss an.
An einem Fluss feiere ich auch noch mein zweimonatiges Unterwegssein mit Eis und alkoholfreiem Bier. Dabei rufe ich Charlotte an, eine Freundin aus Oxford, die mittlerweile in Boston ihre Doktorarbeit schreibt. Ein Mensch der mich wirklich immer wieder sehr beeindruckt und begeistert. Ich habe einen riesigen Respekt vor ihrem Scharfsinn und Freude daran, wie sie auch andere Bereiche ihres Lebens angeht. Sie begleitet mich eine Weile, auch, als ich wieder auf das Fahrrad steige. Ihr Erzählungen von ihrer Arbeit wecken auch in mir wieder Lust zu forschen.
Als meine Verbindung langsam abbricht verabschiede ich mich von Charlotte. Jetzt muss ich nur noch den Berg hoch und aus dem Dorf raus. Ich plane, mir den ersten Schlafplatz zu suchen, der sich halbwegs eignet.
Doch dann treffe ich Karl. Er ist mit seinem Mountainbike mal schnell in das Tal gefahren, um die Zeitung zu holen, immerhin ca. 20km und 300hm. Er erzählt mir von einer großen Fahrradtour, die er mit Anfang zwanzig durch Amerika gemacht hat, von USA bis Venezuela und von seiner Tour über die Alpen letzten Sommer. Mittlerweile ist er über 70, fährt aber fit wie ein Turnschuh neben mir den Berg hoch. Manchmal frage ich mich, ob er wegen mir langsamer fährt. So fit will ich auch gerne mein Leben lang sein.
Karl und ich fahren ungefähr eine Stunde lang zusammen. Er führt mich über eine andere Strecke als die von meinem Gerät berechnete. Anscheinend hätte meine Strecke lange über einen Weg geführt, der gerade mit Gepäck nicht mehr zu fahren ist. Ich bin sehr dankbar für die lokalen Tips. Es wird richtig schön hier oben, eine Hochebene mit Blick auf einen großen Berg und unterschiedliche Seenlandschaften. Gleichzeitig wird es auch richtig windig. Karl empfiehlt noch einen Schlafplatz, der besonders windgeschützt sein sollte sollte. Dieser ist allerdings immerhin 20 km entfernt. Ich bin ihm da aber nicht böse, im goldenen Abendlicht macht die Strecke richtig Spaß.
An meinem Schlafplatz steht schon ein Wohnwagen. Es ist trotzdem noch mehr als genug Platz und ich frage, ob ich mich dazustellen darf. Marianne, die am Feuer sitzt, lädt mich selbstverständlich dazu ein. Marianne und ich verbringen am Feuer dann den Abend zusammen. Ihr Mann spricht wenig Englisch und verbringt den Abend hauptsächlich mit Angeln. Beide sind lieb und unterstützend, und laden mich zu Fanta ein, als ich das Bier dankend ablehne. Marianne lässt sich auf eine erstaunliche Tiefe und Vertrauen ein und erzählt mir davon, was ihr wichtig ist. Am Feuer sitzend zieht sich mein Abend dann doch ziemlich in die Länge.
Dieser Abend hat mich ganz schön überrascht. Es tut gut, Menschen wieder so begegnen zu dürfen.