Je länger ich reise, desto leichter wünsche ich mir mein Gepäck. Am Anfang ging es mir vor allem darum, ein möglichst leichtes und wendiges Fahrrad zu haben. Jetzt bin ich froh, nur diejenigen Gegenstände dabei zu haben, die ich wirklich brauche. In meinem sonstigen Leben besitze ich so viel Zeug, das ich nur selten verwende. Hier verwende ich alles fast täglich (außer meinem Oh-Shit-Kit aus Erste-Hilfe-Set und Reparaturmaterialien, das zum Glück nur selten nötig ist).
Auch in meinem aktuellen Gepäck überlege ich noch, was ich wirklich brauche und was ich auch zurücklassen könnte. Nach ein paar Tagen ohne Handtuch (ich hatte es in Oslo liegen lassen), frage ich mich - nicht ganz ernsthaft - ob ich wirklich eines brauche. Es trocknet ja sowieso nicht, wenn es regnet. Im norwegischen Regen ist auch mein Sonnenpanel überflüssig und das Gewicht nicht wert. Und wie viele zusätzliche Unterhosen braucht ein Mensch? Zugegeben, eine zusätzliche Hose hätte ich mir gestern gewünscht, als ich die nasse wieder anziehen musste.
An meinem gestrigen Waschtag war mein Besitz über die ganze Hütte verteilt. Den heute wieder einzusammeln, war Anstoß für meine Überlegungen. Es braucht selbst bei einem Minimum an Besitz lange, ihn einzusammeln.
Richtig froh bin ich auch darum, dass ich nur selten den Überblick über meinen Besitz verliere. Ich habe auf meiner Reise noch nichts verloren (wobei ich zugegebenermaßen meine Wäsche in Oslo zurückgelassen habe). So fällt mir jetzt auch auf, dass ich meine Brille verlegt habe. Ich suche die ganze Hütte ab und finde sie nicht. Ein bisschen stresst mich das. Zum Glück weiß ich dank der Fotos von gestern ganz sicher, dass ich die Brille abends noch hatte. Aber vielleicht wurde sie doch weggeweht? À propos, vielleicht liegt sie draußen? Ich schaue mir das erste Foto ohne Helm an und rekonstruiere von wo ich es geschossen haben muss. Da liegt sie zum Glück, meine Brille.
Als alles eingepackt ist, darf ich mich von den Wanderwegen rund um die Hütte wieder zu fahrbaren Wegen durchschlagen. Danach geht es lange erst bergab, dann bergauf und bergab über spaßige Schotterwege. Zum ersten Mal fällt mir mein Handy aus der offenen Seitentasche, in der es die letzten Wochen verbracht hat. Als mir das auffällt, geht der Puls wieder hoch. Wieder erinnere ich mich zumindest an das letzte Foto. Umdrehen, schnell bergauf und hoffen, dass in der Zwischenzeit kein Auto drüber gefahren ist. Glück gehabt, da liegt mein Handy.
Mittags steuere ich eine Käserei an. Die Supermärkte sind sonntags zu und ich kriege sonst kein Essen mehr. Außerdem wird hier der norwegische braune Käse produziert und ich freue mich ihn mal nicht nur in der Massenwarenvariante zu probieren. Er ist extrem süß und karamellig und mit 30g Zucker pro 100g sicher eine gute Kohlenhydratquelle für das Fahrradfahren. Hier ist er als Ziegenkäse außerdem etwas würziger, was gut tut. Zu der Käserei gehört auch eine Bäckerei. So gibt es für mich ein besonders luxuriöses und leckeres Mittagessen mit gutem Brot und Kanelbulle.
Ich lade zwei Hippies ein, sich zu mir zu setzen. Ich weiß nicht, ob sie sich selbst als Hippies beschreiben würden, aber so kann man sich die bunte entspannte Kleidung und Gitarre über die Schulter vielleicht besser vorstellen. Felicia und Dani sind Musiker*innen und erzählen davon, wie sie auf ihre Musik kommen, was sie inspiriert. Wir tauchen gleich ziemlich tief in unser Gespräch ein und sprechen über Liebe (worüber sollten Hippies sonst sprechen?). Wir verabschieden uns mit ernst gemeinten Umarmungen. Vielleicht kreuzen sich unsere Wege irgendwann noch einmal.
Weiter geht es durch die Berge, ich sammle noch viele Höhenmeter. Trotz entspanntem Mittag, Telefonat mit Tobias und neuen Freunden bin ich gut vorangekommen. Trotz all der Gemütlichkeit schaffe ich auch noch fast 100 km und 2000 hm. Bei Strecke gilt für mich nicht, weniger ist mehr und ich freue mich, wenn ich mehr fahre. Irgendwie verwende ich meine Zeit anscheinend heute aber auch so, dass ich mich auf das Wesentliche konzentriere.
Eigentlich möchte ich die windige Hochebene noch durchqueren, bevor ich mein Zelt aufstelle. Als ich aber ein anderes Zelt mit Fahrrädern daneben stehen sehe, halte ich an. Eigentlich will ich nur fragen, ob sie wissen, wie weit es noch geht, bevor es wieder bergab geht. Das Zelt von Alessandra und Leon gibt mir dann aber doch das Selbstbewusstsein, mein eigenes dazu zu stellen. Außerdem spüre ich meine Müdigkeit wie immer in dem Moment, als ich anhalte so richtig. Also suche ich mir einen Fleck für mein Zelt, trage mein Fahrrad dahin durch den kalten Gebirgsfluss und wasche dann mich und meine Hose im selben. Ich geselle mich noch kurz zu Alessandra und Leon für mein Abendessen, dann ziehe ich mich in mein Zelt zurück.
Ich freue mich auf vieles, wenn ich wieder in die Bequemlichkeit eines Hauses zurückkehre. Nicht aber auf meinen Besitz - auch wenn es sicher angenehm ist, nicht jeden Tag meine Wäsche waschen zu müssen.